Wie viel Digitalisierung verträgt das Gesundheitswesen?
Alles bleibt anders – auch in der Medizin. Das Projekt
„Medizin 4.0“ widmet sich bedeutenden ethischen Fragen in diesem Zusammenhang.
Die elektronische Krankenakte, die Messung von
Gesundheitsdaten per App, die Kommunikation zwischen Ärzten und Krankenhaus
über eine Plattform, die Video-Sprechstunde – das sind nur einige Beispiele für
digitale Technologien, die derzeit die deutsche Gesundheitswirtschaft
revolutionieren und nachhaltig verändern. Basis der Digitalisierung sind die
medizinischen Daten des Versicherten, die dank moderner Informations- und
Kommunikationstechnologien zwischen Ärzten und Patienten sowie zwischen den
einzelnen Leistungserbringern ausgetauscht werden. Die Digitalisierung ermöglicht
es, die Diagnostik und Behandlung zu modernisieren und maßgeblich
weiterzuentwickeln. Sie trägt zur Erleichterung der Kommunikation zwischen den
einzelnen Akteuren des Gesundheitswesens bei und ermöglicht es dem einzelnen
Patienten, seine Gesundheit stärker zu steuern, etwa durch Apps und
Informationen im Internet.
Die Digitalisierung in der Medizin ist also längst Realität
geworden und findet im Alltag statt – und sie elektrisiert alle Beteiligten. Doch
auch die Sicherheit steht im Zentrum der neuen digitalen Medizinwelt. Deshalb
untersucht das Projekt „Medizin 4.0“ essenzielle ethische Fragen im
Zusammenhang mit digitalen Technologien im Gesundheitswesen. Sowohl die
Hochtechnologie in der medizinischen Versorgung wie KI-Systeme, Big Data
Anwendungen und neue Behandlungsmethoden als auch die ständige Verknüpfung von
gesundheitsbezogenen Daten und deren mobile Erhebung durch Apps, Wearables und
anderen digitalen Geräten verändern das Gesundheitswesen auch in Deutschland –
wenn auch später als in manch anderen Ländern – in seinen grundlegenden
Strukturen.
An Geschwindigkeit der Neuerungen anpassen und lernen
Das ist verbunden mit vielen Versprechungen, großen
Erwartungen, aber auch neuen Ängsten. Damit umzugehen, gehört zu den aktuellen
Herausforderungen für die Ärzteschaft. Sie müssen sich der Geschwindigkeit der
Neuerungen anpassen und lernen, zwischen Bei der hohen Geschwindigkeit der
Weiterentwicklung fällt es besonders schwer, zwischen erdachtem und
tatsächlichem Fortschritt zu unterscheiden, um die wirklichen Neuerungen adäquat
für und mit den Patienten zu nutzen. Wichtige ethische Grundregeln wie das sogenannte
Nichtschaden-Prinzip oder die Verschwiegenheitspflicht müssen bei dieser Entwicklung
berücksichtigt werden. Das macht für die Mediziner nicht gerade leichter,
sodass es wissenschaftlicher Untersuchungen bedarf, die hier Orientierung geben
können.
Wichtig und hilfreich ist es, Fragen zu stellen, die auf die
Problemstellungen abzielen. Es muss klar sein, wer gesundheitsbezogene Daten
einsehen darf, die in einer App erhoben werden, und wer die Verantwortung dafür
trägt. Gehören die Daten dem Patienten, der Krankenkasse oder gar dem
App-Anbieter? Sollen selbst erhobene Daten der Patienten in die Diagnose und
Therapieauswahl einbezogen werden? Welchen generellen Stellenwert, welchen
spezifischen medizinischen Wert haben diese Daten? Sind sie forschungsrelevant?
An diesen Fragestellungen ist abzulesen, wie raumgreifend
der Wandel ist, dem die Digitalisierung in der Medizin wie in der Gesellschaft
unterliegen. Auch die jeweilige Rolle des Patienten, die Beziehung zu
den Behandelnden und das Gesundheitssystem insgesamt sind diesem Einfluss
ausgesetzt. Ärzte werden spüren, wie sich ihr Berufsbild und auch ihr
Selbstverständnis an die neuen Gegebenheiten anpassen. Beim Thema
Digitalisierung ist das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich
weit abgeschlagen. In anderen Ländern sind Telemonitoring, Video-Sprechstunden
und elektronische Patientenakten längst an der Tagesordnung – in Deutschland
werden viele dieser Neuerungen nicht oder nur in Teilbereichen genutzt.